Schul­kul­tur und Gamification

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Meine Welt steht Kopf, als ich mei­nen 7., 8. und 9. Kläss­lern sagte, sie dür­fen jetzt mit Auf­räu­men begin­nen, aber nie­mand sich bewegt. Es ist wei­ter­hin ein­fach still, alle sind ver­tieft. Wich­tig anzu­mer­ken: Es ist Frei­tag kurz vor 16.00. Mein Assi­stent und ich schauen uns ver­blüfft an. Zuerst dachte ich, sie hät­ten mich nicht gehört. Das konnte ich mir dann doch nicht vor­stel­len, also war­te­ten wir ab. Die Stille und Lernat­mo­sphäre hielt noch gute zwei Minu­ten an, bis die Ersten leise began­nen aufzuräumen.


Jugend­li­che kön­nen immer wie­der in eine Lernat­mo­sphäre ein­tau­chen, wel­che ich noch vom Stu­dium her kenne. Diese andäch­tige Stille herrscht sonst in Uni­ver­si­täts­bi­blio­the­ken, dort wo die Profi-Lerner*innen stu­die­ren — und viel­leicht in lee­ren Kir­chen. Unsere Ler­nen­den haben auf einem Besuch die Uni­ver­si­täts­bi­blio­thek erlebt. Sie haben es gese­hen und es wurde ihnen erklärt, wieso es zum Ler­nen Fokus braucht. Je län­ger die Auf­merk­sam­keit auf etwas ruht, je mehr kon­zen­triert sich die Ener­gie. Kon­zen­tra­tion ist also über Zeit gebün­delte Auf­merk­sam­keit. Wir erschaf­fen so Lernat­mo­sphä­ren, indem wir neben ihnen mit­ler­nen. Wir bespre­chen mit ihnen, wie Ler­nen funk­tio­nie­ren kann, damit sie sich des­sen bewusst wer­den kön­nen. Wir beglei­ten sie dann, um dies selbst auf­bauen und erhal­ten zu kön­nen – unter ande­rem mit Hilfe von Yoga und Meditation.


Kul­tur ist alles vom Men­schen Erschaf­fene und wir Läbens­schuel­men­schen erschaf­fen spie­le­risch und mit Auf­rich­tig­keit einen Raum, in wel­chem wir sein kön­nen und uns wohl füh­len. Dies ist die Grund­vor­aus­set­zung fürs Ler­nen. Es braucht die Akti­vie­rung des Para­sym­pa­thi­kus (ruhen und ver­dauen), die Schwe­ster des Sym­pa­thi­kus (kämp­fen und flüch­ten), da dann das Blut in den Prä­fron­ta­len Kor­tex kommt, wo unser Den­ken statt­fin­det. Immer wie­der kommt von Besu­chern die Frage, ob in so einer Wohl­fühl­oase gelernt wer­den könne? Steht hin­ter die­ser Frage die unaus­ge­spro­chene Annahme, dass es in Schu­len und an Arbeits­plät­zen unge­müt­lich sein soll und dass dies för­der­lich für die Lei­stung sei? Wer kennt nicht den Spruch: Zuerst die Arbeit und dann das Ver­gnü­gen? Als ob Arbei­ten (und Ler­nen) nicht auch Ver­gnü­gen berei­ten kann und darf. Dies ist für mich eine über­holte Kul­tur von Men­schen, die ums Über­le­ben kämp­fen muss­ten. Bei uns leben wir im Frie­den und dies zu begrei­fen und zu ver­kör­pern scheint eine Her­aus­for­de­rung. Ich glaube unter ande­rem, dass uns die Medien mit Schreckens­nach­rich­ten den Puls hoch­ja­gen. Des­halb wird geglaubt, dass wir in schlim­men Zei­ten leben. Dies, obwohl es sta­ti­stisch gese­hen noch nie so wenig Hun­ger­tote gab, die Armen noch nie so reich waren und noch nie so viele von uns in Schu­len konn­ten. Damit will ich nicht das Lei­den der Welt oder von uns Men­schen herab­spie­len, son­dern her­vor­he­ben, dass die Zeit für «Gschpür­schmi-Fühls­chmi» voll da ist. Wer sich nicht spürt, ist abge­schnit­ten von einem Drit­tel des mensch­li­chen Daseins und kann auch keine emo­tio­nale Ver­bin­dung mit ande­ren ein­ge­hen. Sol­che Men­schen sind gefan­gen in ihrem Men­tal­kör­per, leben also in ihrer Gedan­ken­welt und ihren Vor­stel­lun­gen. Unsere Emo­tio­nen und Gefühle sind das, was wir nicht kau­fen kön­nen und darum ech­ten Wert besit­zen. Die Mensch­lich­keit kommt zuerst und dann kann Lei­stung auf höch­stem Niveau gesche­hen. «Vor Klug­heit und Wis­sen kommt Tole­ranz und Güte» (Char­lie Chap­lin). Dies neh­men wir uns zu Her­zen und sehen darum unsere Schüler*innen als Men­schen mit Bedürf­nis­sen und Gefüh­len. Wir hel­fen ihnen, diese wahr­zu­neh­men und zu erfül­len. So ent­fal­ten sie sich in die­ser Fülle und wach­sen ihrem Poten­zial entgegen.

 

Die Kul­tur des Frie­dens muss von uns Erwach­se­nen bewusst in uns auf­ge­baut und erhal­ten wer­den, wie im Inne­ren so im Äus­se­ren. Ich glaube, dass Lehr­per­so­nen Frie­den in sich haben müs­sen, damit sie Frie­den im Klas­sen­zim­mer erstel­len kön­nen. In der Läbens­schuel erhält sich unsere Kul­tur auch ein Stück weit von alleine, da alle Stu­fen zusam­men sind. Am Ende des Schul­jah­res gehen so nie alle aufs Mal und trotz­dem kommt jedes Jahr fri­scher Wind hin­ein. Die Drittklässler*innen haben echte Ver­ant­wor­tung, denn sie gehen den Jün­ge­ren vor. So erle­ben diese orga­nisch, was z.B. mit der Berufs­wahl auf sie zukommt und wie die Älte­ren das mei­stern. Am Mit­tags­tisch mischen sich die Klas­sen unter ande­rem auch, weil alle Schüler*innen in eines der Häu­ser der vier Ele­mente ein­ge­teilt sind (Was­ser, Feuer, Luft und Erde). In die­sen stu­fen­über­grei­fen­den Grup­pen gehen sie immer wie­der Eis­ba­den, üben koope­ra­tive Lern­for­men (Grup­pen­ar­bei­ten) und erle­di­gen die «Ämt­lis». Gami­fi­ca­tion ist ein Trend­be­griff, wel­chen ich so ver­stehe, dass wir spie­le­risch am besten und vor allem mit am mei­sten Freude ler­nen. Je län­ger wir ein Spiel spie­len, desto bes­ser wer­den wir darin. Wer sagt, dass man nicht auch so Bäcker, Ban­ker oder wel­chen Beruf auch immer pro­fes­sio­nell spie­len kann? Ich glaube, dass das Leben ein gros­ses Spiel ist. Dies heisst nicht, dass es unwich­tig ist. Es bedeu­tet, dass wenn wir es geschafft haben, spie­le­risch mit dem Leben umzu­ge­hen, ein mei­ster­li­ches Niveau an Leich­tig­keit, Lebens­freude und Resi­li­enz erreicht haben wer­den, wel­ches ich uns allen wünsche.

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Deborah Selinger

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