Wie mir Lino (13) zeigt, was Männlichkeit ist
Es ist ein normaler Montag in der Läbensschuel. Die Jugendlichen kommen nach 8 Uhr an, Begrüssungen werden ausgetauscht und sie beginnen selbstständig zu lernen. Ein Smoothie wird vorbereitet und das laute Mixen und mein Ruf: «Smooothietime!» bringt alle an den grossen Tisch.
Die Frage ist: Wie nimmst du dich physisch, mental und emotional wahr? Alle Jugendlichen teilen sich mit. Dazu kommt die Aufgabe, dies achtsam zu tun. Was ist jetzt? Versuche, Wertungen, wie gut und schlecht wegzulassen. Das hilft beim Annehmen seiner selbst, so wie es gerade ist. Unverblümt aber auch nicht abwertend, so, wie es sich gerade empfinden lässt. Lino geht in seine Verletzlichkeit und berichtet der Klasse, dass er Trauer empfinde. Jemand, der ihm nahestehe, sei gestorben. Seine Mitlernenden horchen andachtsvoll. Es bleibt eine Weile still. Eine natürliche Schweigeminute entsteht und sein Nachbar legt ihm den Arm über die Schulter.
Mut, Integrität und die Stärke der Verletzlichkeit waren Themen, die die Läbensschüeler/innen immer wieder einmal angeschaut haben, weshalb es mich nicht völlig vom Stuhl haut.
Jetzt geht’s ins Yoga. 20 Minuten lang werden Asanas gemacht. Atem, Balance, Bewegung, Haltekraft und voller Fokus. Dann kommt die Meditation. Lino (13) sitzt aufrecht auf seinem Kissen und sein Atem fliesst langsam und tief. Es laufen ihm Tränen aus den Augen, aber sein Gesicht bleibt entspannt. Teilweise ziehen sich Augenwinkel ein wenig zusammen, als würde er leichten Schmerz empfinden. Jedes Mal geht sein Atem tiefer, er entspannt sein Gesicht wieder, was mir zeigt, dass er voll in der Akzeptanz ist. Ich kriege Gänsehaut. Hier sitzt mir ein junger Mann gegenüber, der den Mut hat, seinen emotionalen Schmerzen mit Offenheit und Vertrauen entgegenzutreten. Er lässt ihn voll zu, total gefasst und ist in diesem Sturm der Gefühle das ruhende Zentrum. Er strahlt eine würdevolle Männlichkeit aus, die ich selten gesehen habe. Ich kann mich erinnern, dass ich als Jugendlicher oft meine Tränen unterdrückte. Sowas sei nicht männlich und wenn es dann doch passieren würde, wäre ich ja dann das ‘hüülende Hüüfeli Eländ’ geworden. Ich bin froh, konnte ich diese emotionale Verkrüppelung ablegen und erlaube mir nun auch Mensch zu sein, der seinen Emotionen Raum gibt und wie ich auch bei meinen Schülern sehe: Männer und Frauen lernen ganzheitlich zu sein, ihre Emotionen aufrichtig anzunehmen, darin zentriert zu bleiben und sie gewaltfrei auszudrücken.
2 Kommentare zu „Wenn starke Männer weinen“
Meine Lieben Menschen,
Ihr rührt mich auch gerade zu Tränen…..den Raum den Ihr durch die eigene gezeigte Verletzlichkeit für diese jungen Menschen öffnet ist wirklich das Tor zur zweiten Geburt, der Individuation um den Schritt auf diese Welttheaterbühne in voller Präsenz zu tun.
Das ganze Gendergequatsche, ist es nicht gerade das „ smoothy“ diese beiden Seiten, IN SICH zu vereinen, damit Aikido zu vollbringen um nicht ewig zu ringen mit der verkrüppelten Seele.
Grossartig seid Ihr, über Grenzen hinauswachsend mit den Euch Anvertrauten Erdenbürgern verbunden mit Himmel und Erde.
herzlichst Heidi
Ich finde es so wunderbar, welche Möglichkeiten Du deinen Schülern bietest und was sie daraus machen. Du bist mein Held und danke für deine Arbeit. Aho!