Als ich am Montagmorgen um 7.50 vor verschlossenen Türen der Läbensschuel stand und sich eine Gruppe Teenies näherte, versuchte ich möglichst wenig zu sagen, da ich der Meinung war, dass es den Jugendlichen eh peinlich und unangenehm sei mit einem Fremden zu reden. Ich war absolut erstaunt, dass die Schüler das Gespräch aktiv suchten und mit mir eine Unterhaltung führten.
Diese, eigentlich absolut alltägliche und normale Situation zeigte mir schnell, dass die Schüler der Läbensschuel sich in gewissen Punkten von den Meinigen unterscheiden. Altersmässig in etwa gleich, doch von den Sozialkompetenzen, vom Verhalten her anders; selbstbewusster, aufgestellter, menschlicher. Das Staunen ging weiter, als ich die Räumlichkeiten der Läbensschuel betrat. Ein grosser heller Raum, Licht durchflutet, mit einem Holzparkett, wunderbar eingerichtet und vielmehr an einen Ort der Ruhe und Kraft erinnernd, als an ein klassisches Schulzimmer. Zusammen mit dem freundlichen Auftreten der Schüler und Mitarbeiter, fühlte ich mich innerhalb kürzester Zeit wohl und aufgenommen. Diese positive, warme und wohlwollende Atmosphäre ist die Grundlage für ein «sich zu Hause fühlen». Dies wiederum ist eine hervorragende Basis, um zu lernen und zu arbeiten.
Ich betrat den Raum und verschaffte mir einen Überblick und begann mit Beobachten. Die Schüler bewegten sich mit einer Selbstverständlichkeit in den Räumlichkeiten, einige setzen sich hin und arbeiteten, andere machten sich einen Tee, wiederum andere unterhielten sich mit den Kollegen. Alles geschah ruhig und zielgerichtet. Man merkte, die Schüler fühlten sich wohl und vertraut. Das ist für eine Schule mit Teenies morgens um 8.30 Uhr doch eher ungewöhnlich.
Der offizielle Start um 8.30 Uhr mit Yoga empfand ich als optimal. Ganz egal, was die Schüler morgens erlebt und gemacht haben, sie werden alle auf das mehr oder weniger gleiche Level gebracht. Sie legen den Fokus auf ihren Körper und ihren Geist und sie starten ruhig sowie ausgeglichen in den Lerntag. Die Ruhe ist auch nötig, um die Gedanken bei der Sache zu haben. Denn die Läbensschuel schenkt den Schülern eine extrem hohe Eigenverantwortung. Das meistens selbstgesteuerte Lernen fordert von den Schülern, dass sie sich ein Überblick über die zu erledigenden Arbeiten in den unterschiedlichen Fächern verschaffen, dass sie bei den Arbeiten Prioritäten setzen und sie gewichten, dass sie lernen den Arbeitsaufwand einzuschätzen sowie ihre momentane Verfassung beurteilen und diese berücksichtigen. Alles hohe Anforderungen an die Jugendlichen. Im Vergleich zu einer Regelklasse muss man sagen, dass die genannten Ansprüche dort eher auf der Strecke bleiben. Die relativ geringe Schülerzahl und das überaus gute Verhältnis zwischen Lehrpersonen und Schüler, begünstigen einen produktiven Austausch. Die Schüler holen sich Unterstützung bei den Lehrpersonen, wenn diese von Nöten ist. Die Lehrpersonen haben meist Zeit. Die Wege sind kurz. Die individuellen Bedürfnisse, Verfassungen, Ziele und Ansprüche können dadurch berücksichtigt werden und seitens der Schüler auch gelebt werden.
Durch immer wiederkehrende Rituale wie Meditation, Singen, im Kreis sitzen u.Ä. besinnen sich die Schüler immer wieder auf das Wesentliche. Ihnen wird dadurch Ruhe und Kraft geschenkt, um neue Aufgaben in Angriff zu nehmen. Sie erhalten dadurch auch immer wieder einen Reminder, was eigentlich erledigt werden muss und schärfen ihren Fokus.
Daneben verfügen die Schüler über ein hohes Mass an positiven Sozialkompetenzen. Ich habe keinen grösseren Konflikt unter den Schülern erlebt. Sie nehmen ihre Aufgaben in der Gemeinschaft wahr und erledigen sie gewissenhaft und gut. Sie wertschätzen sich gegenseitig und machen einander Komplimente. Der Umgang mit den Lehrpersonen ist freundschaftlich, aber respektvoll.
Alles in allem eine optimale Lernumgebung. Ohne zu viel Druck, aber mit klaren Regeln. Eine Oase des Lebens und Lernens. Ein Ort, in dem sich Teenies wohl fühlen und nach ihren, meist selbst getroffenen Entscheidungen, lernen können. Sie lernen aber auch ein respektvolles Miteinander. Sie werden rundherum optimal aufs Leben vorbereitet. Ich bin dankbar für die Inspirationen, die mir die Läbensschuel für meinen Schulalltag geschenkt hat. Alles ist in der Regelklasse nicht umsetzbar. Dafür stehen die Räumlichkeiten, die Schülerzahlen, die Erwartungen des Arbeitgebers und evtl. der Eltern im Wege. Auch passt das System wahrscheinlich nicht für alle Jugendlichen. Was man aber mit Sicherheit sagen kann, ist, dass es viele Jugendliche gibt, die sich in der Läbensschuel wohl fühlen, dort am richtigen Ort sind und dort eine tolle Schulzeit erleben können und somit für die Herausforderungen, die das Leben an einen stellt, gewappnet sind.
Danke für alles!
Michael Nicola, 47 Jahre, Oberstufenlehrer (Real, Sek B), Buchs SG